Vermögensverwaltung im Ruhestand: Strategien für mehr Sicherheit

Vermögensverwaltung im Ruhestand: Wie erreiche ich mehr Sicherheit für mein Vermögen?

Beim Investieren an den Kapitalmärkten hat man unweigerlich mit Unsicherheiten zu kämpfen. Vor allem im Ruhestand führen Unsicherheiten jedoch zu Stress bei den Anlegern.

Hat man beim Vermögensaufbau im Alter von 30, 40 oder 50 Jahren noch mehr Spielraum, um Marktschwankungen auszusitzen und sie mit dem Einkommen zu kompensieren, sieht die Situation im Ruhestand schon etwas anders aus.

Auf diese Herausforderungen habe ich mich spezialisiert. Bestimmte Bevölkerungsgruppen müssen ihren Ruhestand hauptsächlich aus Mieteinkünften und den Erträgen aus dem liquiden Vermögen finanzieren. Sie können häufig nur zu einem kleinen Teil auf Renten oder Pensionen zurückgreifen.

Gerade für diese Bevölkerungsgruppen ist es enorm wichtig, dass sie Vermögensstrategien entwickeln, die ihren Bedürfnissen entsprechen und Unsicherheiten minimieren.

Wenn wir jedoch über die Geldanlage an Kapitalmärkten sprechen, lassen sich Unsicherheiten nicht ausschließen. Sie sind es, warum wir überhaupt die Erträge erwarten können. Geht man keine Risiken (in Form von Unsicherheiten) ein, kann man keine Erträge oberhalb des risikolosen Zinses erwarten.

Meine Strategien haben deshalb zum Ziel, den Menschen trotzdem einen Ruhestand in Gelassenheit zu gewährleisten. Wissen, Daten und Erkenntnisse können uns zwar nicht in die Lage versetzen, die Zukunft vorherzusagen.  Sie geben uns aber die Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, und die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass eine Strategie funktioniert.

Ich möchte Ihnen einige Ideen über diese wissenschaftlichen Erkenntnisse näherbringen. Sie sollen Ihnen eine Hilfestellung bei der Planung Ihres Ruhestandes geben.

Bei meinem letzten Beitrag bin ich auf einen weitestgehend unbekannten, jedoch sehr großen Unsicherheitsfaktor eingegangen. Das Rendite-Reihenfolge-Risiko.

Beschäftigen wir uns heute genauer damit, wie wir diesem Problem begegnen können.

Im Jahr 1994 machte sich ein amerikanischer Finanzberater daran, herauszufinden, welchen Betrag man jedes Jahr aus seinem Portfolio entnehmen könnte, ohne dieses über einen typischen Ruhestandszeitraum komplett aufzubrauchen.

Dieser Mann war William Bengen. Die von ihm erforschte Strategie wurde als „4%-Regel“, „Bengen-Rule“ oder „Safe-Withdrawal-Rate“ bekannt.

Bevor sich Bengen mit dieser Arbeit beschäftigte, war man davon ausgegangen, dass man in etwa die Rendite eines Portfolios in jedem Jahr entnehmen könnte. Machte ein Portfolio also im Schnitt 6% Rendite, lautete die Empfehlung, 6% pro Jahr zu entnehmen. Diese Regel konnte jedoch schnell zu großen Problemen führen (Rendite-Reihenfolge-Risiko).

Ein Meilenstein für die Ruhestandsplanung

Bengen wollte er herausfinden, wie viel Geld ein Rentner in der Vergangenheit wirklich aus einem Aktienportfolio hätte entnehmen können. Dabei wollte er das Risiko ungünstiger Rendite-Reihenfolgen korrekt berücksichtigen.

Also forschte Bengen nach.  Seine Datenquelle war Ibbotson’s Stocks, Bonds, Bills, and Inflation(SBBI) Yearbook. Das ist eine umfangreiche Chronik historischer US-Aktien- und Anleihenrenditen, die bis ins Jahr 1926 zurück reicht – und die auch heute noch jährlich aktualisiert wird. Mit den Daten aus diesem Buch führte Bengen seine Untersuchung durch.

Zunächst stellte er ein paar Randbedingungen auf:

  • Das Rentenportfolio investiert zu 50 % in den S&P-500-Aktienindex und zu 50 % in US-Staatsanleihen mittlerer Laufzeit.
  • Jedes Jahr wird ein gleichbleibender Betrag aus dem Portfolio entnommen. Dieser wird lediglich jährlich an die Inflation angepasst. DieseEntnahmerate wird in Prozent des anfänglichen Portfoliowerts angegeben. Angenommen, das Portfolio ist zu Rentenbeginn $100.000 wert. Dann bedeutet eine Entnahmerate von 4 %, dass man Jahr für Jahr (inflationsbereinigte) $4.000 daraus entnimmt.

Die 4% Regel in der Vermögensverwaltung für den Ruhestand

Nun untersuchte Bengen, wie sich mit diesen Spielregeln das Vermögen während verschiedener Zeiträume in der Vergangenheit entwickelt hätte. Dafür testete er alle möglichen, jeweils 50 Jahre langen Zeitspannen – also etwa den Zeitraum von 1926 bis 1975, den von 1927 bis 1976, und so weiter. Und er prüfte Entnahmeraten von 3, 4, 5 und 6 %.

Was er herausfand, war interessant. Betrug die Entnahmerate nicht mehr als 4 %, überlebte das Portfolio in allen getesteten Zeiträume mindestens 30 Jahre lang – ohne komplett aufgebraucht zu werden.

Wer etwa mit 65 in Rente ging, wäre also bis zum 95. Lebensjahr in keiner der getesteten 30-Jahres-Zeitspannen bankrott gegangen. Das hielt Bengen für hinreichend konservativ – und bezeichnete die Entnahmerate von 4 % darum als Safe Withdrawal Rate – die Sichere Entnahmerate.

Im Oktober 1994 veröffentlichte Bengen seine Erkenntnisse schließlich in der Fachzeitschrift Journal of Financial Planning unter dem Titel Determining Withdrawal Rates Using Historical Data.
Der Artikel revolutionierte die Welt der Rentenplanung in den USA. In Deutschland ist das Thema leider auch heute noch nur wenigen bekannt.

Die eigentliche Erkenntnis: Zum ersten Mal wurde bei der Portfolio-Entnahme das Rendite-Reihenfolge-Risiko berücksichtigt.
Statt mit der Durchschnittsrendite rechneten die Finanzberater in den USA ab diesem Zeitpunkt mit Bengen’s Safe Withdrawal Rate. Bis heute wurde die Regel immer wieder mit aktuellen Zahlen überprüft und an die Rahmenbedingungen angepasst.

Bengens Safe Withdrawal Rate hatte aber ein konzeptionelles Problem. Sie war so gewählt, dass sie selbst den (vielleicht besonders unglücklichen) historischen Worst-Case abdeckte.
Nur wer im Jahr 1966 in Rente gegangen wäre, hätte nach exakt 30 Jahren den letzten Dollar aus seinem Portfolio entnommen.

Bei den meisten anderen Verläufen wäre am Ende noch ein recht großes Vermögen übrig gewesen – oder der Wert des Portfolios hätte sich sogar vervielfacht. In über 99 % der Fälle hätte man als Rentner also mehr entnehmen können als lediglich 4 Prozent des ursprünglichen Vermögens.

Weiterentwicklung der Ruhestandsplanung: Die Trinity-Studie

Für die meisten Menschen ist es natürlich attraktiv, einen möglichst großen Teil des selber erwirtschafteten Vermögens zu verbrauchen.  (Außer denjenigen, die ihr Vermögen vererben möchten). Nehmen wir also an, man akzeptiert eine kleine Wahrscheinlichkeit des Scheiterns (zum Beispiel 5 % oder 10 %).  Dann könnte man mehr aus seinem Portfolio entnehmen – oder müsste insgesamt weniger Vermögen für den Ruhestand aufbauen. Ein durchaus charmanter Gedanke.

Dieser Frage gingen Philip Cooley, Carl Hubbard und Daniel Walz im Jahr 1997 nach – rund drei Jahre nach Erscheinen von Bengens Artikel.Die drei Herren waren Professoren an der Fakultät für Finanzen der Trinity University in San Antonio (Texas). Sie erweiterten Bengens Idee um das Konzept der Erfolgswahrscheinlichkeiten.

Während Bengen von seiner Safe Withdrawal Rate forderte, dass kein einziger der getesteten 30-Jahres-Zeiträume zum Bankrott führen durfte, ließen die Trinity-Forscher die Möglichkeit des Scheiterns zu:

Wenn von 100 getesteten Zeitverläufen 80 überleben und 20 nicht funktionieren, dann beträgt die Erfolgswahrscheinlichkeit für die gewählte Entnahmestragie 80 %.

Die Forscher griffen ebenfalls auf Daten aus dem SBBI Yearbook zurück. Mit diesen berechneten sie dann die Vermögensentwicklung für alle möglichen Zeiträume zwischen 1926 und 1995.

Sie testeten Zeiträume von 15, 20, 25 und 30 Jahren Länge und simulierten Entnahmen zwischen 3 % und 12 %. Außerdem prüften sie verschiedene Portfolio-Kombinationen mit Aktienquoten zwischen 0 und 100 %. Für alle möglichen Kombinationen hielten sie fest, wie viele der Vermögensverläufe erfolgreich waren – und wie viele unter der Null-Linie landeten.

Das Ergebnis visualisierten sie in Form einer Tabelle. Die Spalten repräsentieren die getesteten Entnahmeraten, die Zeilen geben verschieden lange Test-Zeiträume und Portfolio-Zusammensetzungen an. In der Mitte kann man dann die entsprechende Erfolgswahrscheinlichkeit für die jeweilige Portfolio-Zusammensetzung, Zeitspanne und Entnahmerate ablesen.

File:TrinityTable3.jpg

Quelle: https://www.bogleheads.org/wiki/File:TrinityTable3.jpg

 

Bei einem Portfolio aus 75 % Aktien (Stocks) und 25 % Anleihen (Bonds) sowie einer Entnahme von 4 % überlebte das Portfolio beispielsweise in 98 % der getesteten 30-Jahres-Zeiträume. Erhöhte man die Entnahme auf 5 %, überlebte es noch in 83 % der Fälle.

Anders als Bengen, nutzten sie jedoch Unternehmensanleihen, was bei einem Ruhestand von 30 Jahren zu etwas anderen Ergebnissen führte.

Cooley, Hubbard und Walz veröffentlichten ihre Studie im Februar 1998 im Fachjournal der American Association of Individual Investors. Ihr Artikel trug den Namen Retirement Savings: Choosing a Withdrawal Rate That Is Sustainable. Heute ist er besser unter dem Namen Trinity Study bekannt – benannt nach der Universität der drei Autoren.

Die Trinity Study rechnete zum ersten Mal mit Erfolgswahrscheinlichkeiten – und legte so den Grundstein für die Wahrscheinlichkeitsbasierte Ruhestandsplanung. Die Studie erlangte in den USA so große Popularität, dass ihr heute oft die 4 %-Regel und die Safe Withdrawal Rate angerechnet werden. Die waren jedoch William Bengens Verdienst.

Heute rechnen viele Finanzplaner in den USA mit solchen Wahrscheinlichkeiten. Eine 90- oder 95-prozentige Sicherheit zu akzeptieren ist oft sinnvoller, als sich die vermeintliche 100 %-Sicherheit (die es auf der Welt ja sowieso nicht gibt) mit einer unnötig niedrigen Entnahmerate zu erkaufen.

Mittlerweile haben sich mehrere Experten mit dieser Thematik beschäftigt. Unter anderem der Finanzplaner und Branchenexperte Michael Kitces. https://www.kitces.com/blog/4-percent-rule-bengen-morningstar-report-the-state-of-retirement-income-safe-withdrawal-rates/

Die Ergebnisse der Studien geben einem angehenden Ruheständler gute Anhaltspunkte. Natürlich sind auch sie keine Garantie für die Zukunft. Dazu kommt, dass die Forschungen nur mit US Daten durchgeführt wurden.

Diese Daten lassen jedoch durchaus Rückschluss auf internationale Daten zu. Wie immer, geht es darum, die Wahrscheinlichkeiten zu prüfen. Sicherheit gibt es nicht.

Um die Ergebnisse für deutsche Anleger relevanter zu gestalten, habe ich mich, gemeinsam mit Partnern, bemüht, auch internationale Daten aufzuarbeiten.

Dazu in Kürze mehr.

Gerade in der aktuellen Zeit, in der sich Ruheständler Herausforderungen gegenübersehen, die wir eigentlich für überstanden hielten, ist Sicherheit ein wichtiges Gut.

Komplette Sicherheit gibt es leider nicht. Eine gute Strategie kann jedoch dazu führen, dass wir die Unsicherheiten so gering wie möglich halten. Das ist für mich der Kern einer guten Vermögensverwaltung im Ruhestand.

Mit diesen Themen beschäftige ich mich seit mittlerweile 20 Jahren jeden Tag. Kommen Sie auf mich zu. Ich bin gerne für Sie da.