Sind die Aktienmärkte überbewertet? Und wenn ja?

Was bedeutet die Bewertung an den Aktienmärkten für die eigene Vermögensverwaltung? Soll ich jetzt noch einsteigen?

Das ist eine Frage, die ich schon seit einigen Jahren von meinen Kunden gestellt bekomme.
Immer noch versuchen viele private Anleger Ihren Einstiegszeitpunkt in die Aktienmärkte zu timen. Mit dem regelmäßigen Ergebnis, dass Sie Renditen liegen lassen, die sie so sehr benötigen, um ihre Ziele zu erreichen.

Mein Ansatz der Vermögensverwaltung ist ein gänzlich anderer.

Langfristig bieten die Aktienmärkte positive zu erwartende Renditen. Wäre dies nicht der Fall, würden sich keine Investoren finden, die bereit sind die Risiken zu tragen. Diese Risiken liegen hauptsächlich darin begründet, dass die Zukunft unsicher ist und sich die kurzfristige Entwicklung der Märkte nicht vorhersagen lässt. Diesen Risiken begegne ich als verantwortungsvoller und unabhängiger Vermögensverwalter mit einer aktiven Liquiditätssteuerung. Somit stellen wir sicher, dass Schwankungen zu verkraften bleiben und vor allem die Ziele meiner nicht gefährdet werden.

Trotzdem versuchen sich viele in der Prognose der Märkte. Anleger suchen gerne nach Signalen, die ihnen den richtigen Zeitpunkt zum Kaufen oder Verkaufen anzeigen. Als gängige Indikatoren für Veränderungen in den erwarteten Aktienrenditen gelten Bewertungsindikatoren wie das zyklisch bereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis, auch als Shiller-KGV bekannt (Englisch: CAPE)1, das im Jahr 1998 von Campbell und Shiller entwickelt wurde. Doch trotz ihrer anhaltenden Beliebtheit finden wir keine stichhaltigen Beweise dafür, dass Bewertungsindikatoren für Asset-Allokationsentscheidungen nützlich sind.

Wie lassen sich Bewertungskennzahlen in der Vermögensverwaltung nutzen? Oder auch nicht?

Wie theoretische und empirische Untersuchungen belegen, enthalten Bewertungskennzahlen Informationen über Unterschiede in den erwarteten Renditen zwischen verschiedenen Aktien. Sortieren wir Aktien nach ihrem Kurs-Buchwert-Verhältnis, erkennen wir zum Beispiel eine Value-Prämie. Vieles deutet darauf hin, dass Anleger mit Value-Aktien, also Aktien mit niedrigem Kurs-Buchwert-Verhältnis, langfristig ziemlich verlässlich Mehrrenditen gegenüber dem Markt erzielen konnten.2

Wenn nun Differenzen in den Bewertungskennzahlen auf Unterschiede in den erwarteten Renditen schließen lassen, warum eignen sie sich dann nicht zum Timing der Aktien-Prämie?

Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst wissen, was Kursveränderungen über eine Aktie aussagen. Der Kurs einer Aktie stellt den Wert der erwarteten zukünftigen Cashflows eines Unternehmens dar, abgezinst auf heute. Niedrige Bewertungen sind also entweder das Ergebnis niedriger zukünftiger Cashflow-Erwartungen oder hoher Diskontsätze – oder einer Kombination aus beidem.
Wenn sinkende Diskontsätze das Kurs-Buchwert-Verhältnis des gesamten Aktienmarkts steigen lassen, sinken die erwarteten Renditen. Doch in den Daten lassen sich Cashflow- und Diskontsatzeffekte leider nicht sauber voneinander trennen – eine schlechte Nachricht für jeden, der Änderungen in den erwarteten Renditen anhand von Bewertungskennzahlen identifizieren will.

Trotz dieser Einschränkung behaupten einige Studien, aus aktuellen Bewertungskennzahlen ließen sich langfristige Renditen ableiten. Eine solche Bewertungskennzahl ist das Shiller-KGV, das in der Vergangenheit negativ mit Aktienrenditen korreliert war. Eine Regression der 10-Jahres-Realrenditen am US-Aktienmarkt auf das Shiller-KGV zwischen 1871 und 2020 ergibt beispielsweise einen Steigungskoeffizienten von -0,004. Das bedeutet: Steigt das Shiller-KGV um 0,1, sinkt die erwartete zehnjährige Realrendite um 0,04%. .
Abbildung 1 zeigt die Prognosen für die 10-Jahres-Realrenditen für den Zeitraum zwischen 1871 und 2020, die sich aus dem Shiller-KGV ableiten.3 Aktuell lässt das Shiller-KGV für die nächsten zehn Jahre eine negative annualisierte Realrendite erwarten – und scheint damit die Sorgen um überzogene Bewertungen zu bestätigen. Geht man jedoch zurück zum Januar 2018, gerät diese Prognose von damals schnell ins Wanken, denn in den ersten dreieinhalb Jahren (bis Juni 2021) lag die jährliche Realrendite bei durchschnittlich 11,75%.4

ABBILDUNG 1


Kaffeesatz
Shiller-KGV und 10-Jahres-Realrenditeprognosen, 1871 bis 2020

Die tatsächlichen Renditen lassen sich nicht mit Sicherheit vorhersagen, die erwarteten Renditen können jedoch wohl kaum negativ sein. Aktienanleger tragen höhere Risiken als die Käufer von Anleihen – und erwarten dafür eine Prämie. Man kann Bewertungskennzahlen also eventuell für Kauf- und Verkaufsentscheidungen nutzen, sofern diese Prämie gerade relativ hoch oder niedrig ist. Doch selbst diese Anwendung ist fragwürdig. In Experimenten, die einen Zusammenhang zwischen Bewertungen und Marktrenditen herstellen, werden in der Regel die Schwankungen der tatsächlichen Aktienrisikoprämien verwendet. Anlageentscheidungen sollten sich jedoch an den erwarteten Prämien orientieren, und Aktienrenditen sind einfach zu volatil, als dass sich die erwarteten zukünftigen Prämien aus den tatsächlichen vergangenen Prämien ableiten ließen.
Ein Beispiel verdeutlicht die geringe Aussagekraft realisierter Renditedaten: Zwischen 1927 und 2020 betrug die Risikoprämie für US-Aktien im Durchschnitt robuste 8,7% pro Jahr. Der Standardfehler betrug jedoch 2,1%, die „echte“ erwartete Prämie lag also wahrscheinlich irgendwo zwischen 4,5% und 12,9%. Aktienprämien innerhalb dieser Spanne würden – selbst wenn sie vom langfristigen Durchschnitt abweichen – nicht die Hypothese stützen, dass sich die Aktienprämie verändert hat. Zwar sind Schwankungen in der erwarteten Aktienrendite im Laufe der Zeit wahrscheinlich. Dass wir diese Schwankungen anhand der Daten zuverlässig vorhersagen können, ist jedoch zweifelhaft.

“Es gibt zwei Arten von Vorhersagern: solche, die nichts wissen – und solche, die nicht wissen, dass sie nichts wissen.” John Kenneth Galbraith

Erwartete Renditen richtig einzuschätzen ist schwierig – so schwierig, dass Merton (1980) es als Irrweg bezeichnete. Ob sich der Aufwand lohnt, hängt davon ab, wie ein Anleger die Informationen einsetzen will.

Insgesamt sprechen die Forschungsergebnisse nicht dafür, Renditeprognosen als Grundlage für Asset-Allokationsentscheidungen zu verwenden, denn um durch Markt-Timing höhere Renditen zu erzielen, müssten Anleger negative Aktienrisikoprämien richtig vorhersagen. Sind Aktien korrekt bewertet, sollte die erwartete Risikoprämie natürlich immer positiv sein. So gesehen sind Anleger wahrscheinlich am besten aufgestellt, wenn sie ihre Asset-Allokation auf ihre Anforderungen, Ziele und Risikotoleranz abstimmen und an dieser festhalten, anstatt sich an Renditeprognosen zu versuchen.

Genau so setze ich es auch mit meinen Mandanten bei der langfristigen Vermögensverwaltung um. Wir verzichten bewusst auf schädliche Spekulation und richten uns langfristig an der positiven Entwicklung der weltweiten Aktienmärkte aus.

Renditeprognosen können allerdings nützlich sein, um Fortschritte bei der Umsetzung der eigenen Anlageziele zu bewerten. Kapitalmarktprognosen dienen in der Regel als Eingangsvariable für Simulationen zukünftiger Renditeverteilungen des Ist-Portfolios. Eine Anpassung prognostizierter Aktienrenditen aufgrund aktueller Bewertungen kann die Informationsgrundlage für Anlageentscheidungen ergänzen. Gehen Anleger zum Beispiel aufgrund eines relativ hohen Shiller-KGV von einer niedrigeren Wachstumsrate ihres Portfolios aus, können sie ihre Sparquote erhöhen und so ihre Chancen verbessern, ihre Ziele tatsächlich zu erreichen.
Bewertungskennzahlen sind in gewisser Weise mit Sonnenuhren vergleichbar: Sie eignen sich als grober Anhaltspunkt; verwendet man sie jedoch als Ofen-Timer, könnte es passieren, dass der Kuchen verbrennt.

Langfristig erfolgreiche Vermögensverwaltung im Sinne der Kunden wie ich sie verstehe funktioniert anders. Meine Kunden wollen sich in aller Regel darauf konzentrieren, was ihnen in ihrem Leben wirklich wichtig ist und eben nicht mit der Sorge um die Aktienmärkte. Genau darauf ist meine langfristig ausgerichtete Beratung und Betreuung ausgelegt.

Am Ende geht es nämlich nicht um Geld, sondern darum, ein erfülltes Leben zu führen. Das und nichts anderes sollte der Gradmesser für richtig gute Finanzplanung und Vermögensverwaltung sein.

Lassen Sie uns darüber sprechen, was Ihnen wichtig ist.